Ana Zirner. Alpensolo

In 60 Tagen von Ost nach West über den Alpenhauptkamm. Knapp 2.000 Kilometer, allein, nur mit dem Nötigsten in einem 35-Liter-Rucksack. Dieses Abenteuer beschreibt Ana Zirner in ihrem Erstlingsbuch Alpensolo.

Ana Zirner ist Jahrgang 1983, in den bayerischen Voralpen aufgewachsen und arbeitet als freiberufliche Autorin, Bergsportlerin und Bergwanderführerin. In Alpensolo lernt man sie als eine starke Persönlichkeit kennen, die ihren Traum des Alpencross minutiös geplant und mit viel Wiellenskraft umgesetzt hat. Schritt für Schritt bewältigt sie die fast 2.000 Kilometer lange Route von den Julischen Alpen in Slowenien, durch die Dolomiten, über die Ortlergruppe, durch Graubünden, das Tessin und Wallis und über den Hauptkamm der französischen Alpen bis nach Grenoble. Auf der Landkarte zieht die Route ein astreinen Bogen über die Alpenkette. Die Etappen sind oft hochalpin auf abgelegenen Wegen, über hohe Pässe und Klettersteige. Nach einem langen Wandertag stehen häufig noch 1.000 Tiefenmeter und mehr auf dem Programm.

Ana Zirner übernachtet fast immer im Freien, ohne Zelt, nur im Schlafsack und mit einem Biwaksack, falls das Wetter schlecht ist. Nur selten sucht sie Unterschlupf in einer Hütte. Je weiter sie auf ihrer Wanderung kommt, desto weniger hält sie es mit den Bergtouristen aus, mit denen man in einer Hütte zwangsläufig zusammentrifft.

Das Buch ist eine gelungene Mischung aus Bergabenteuer, meditativem Naturerleben und Selbstreflexion. Ana Zirner scheut keinen Klettersteig, steigt mit einem Bergführer auf den Gipfel des Ortlers, rollt abends ihren Schlafsack an einem Bergsee aus, macht zum Start in den Tag Yogaübungen, beschreibt mitreißend ihre Naturerlebnisse, freut sich über Begegnungen mit “Bergmenschen”, reflektiert über sich und gibt nebenbei in jedem Kapitel noch praktische Verhaltenstipps für Langstreckenwanderer.

Im zeitlosen Gehen findet sie den Raum, um über ihre Arbeit als freiberufliche Regisseurin nachzudenken. In diesem Beruf hatte sie die Jahre zuvor sehr erfolgreich im In- und Ausland gearbeitet. Sehr offen beschreibt sie, wie wenig Wertschätzung und wie wenig Geld sie dafür bekommen hat. Überhaupt zeichnet sich ihre Art zu schreiben durch große Authentizität aus. Das betrifft nicht nur die Reflexionen zu Themen wie Rhythmus, Bescheidenheit oder Aufrichtigkeit, die sich jeweils wie ein Kontrapunkt durch die einzelnen Etappen ziehen, sondern auch die Begegnungen mit anderen Menschen, die sie manchmal als beglückend oder angenehm, aber manchmal auch sehr deutlich als nervig beschreibt.

Immer wieder muss sie von ihrem ursprünglichen Plan abweichen. In Kärnten wird sie bei übelstem Wetter auf der Suche nach einer Unterkunft kalt abgewiesen, wird dann aber doch noch beim Biwak im Freien von einem Jäger vor einem drohenden Erdrutsch bewahrt. Ein früher Wintereinbruch in der Schweiz führt fast dazu, dass sie die Alpenüberquerung abbrechen muss.

Abgesehen von den Bergabenteuern hat mich in diesem Buch vor allem berührt, wie Ana Zirner ihre Naturerlebnisse beschreibt. Sie setzt das Erlebte so gekonnt in Szene, dass man mit allen Sinnen mit dabei ist.

Kaum bin ich eingeschlafen, höre ich ein Donnern. Ungläubig schaue ich in den sternenklaren Himmel. Aber das Donnern wird immer deutlicher, außerdem kommt es näher. Der Boden vibriert, und schließlich höre ich ein wildes Schnauben. Aufrecht im Schlafsack sitzend, bietet sich mir ein unglaubliches Bild: Ausgelassen rennen sieben Pferde über die Wiese oberhalb von mir - und sie stürmen direkt auf mich zu. Ihr rasantes Tempo steht in krassem Gegensatz zu meiner schlaftrunkenen Ungläubigkeit. Ich springe auf, damit sie mich “sehen” können, und klettere auf den Felsbrocken neben mir. Da galoppieren sie schon ringsum an mir vorbei. Gebannt schaue ich ihnen hinterher und bewundere, wie sie in majestätischer Schönheit den Hang hinabtoben. Wild auseinanderstiebend, wechseln sie plötzlich Rhythmus und Richtung, und im Schein der Sterne sehen sie dabei aus wie glückliche freie Geister.

Fazit

Alpensolo ist ein Road Movie quer über die Alpen, das einen dazu inspiriert, sich selbst auf Wanderschaft zu begeben. Am Anfang wirkt der sehr direkte persönliche Stil von Ana Zirner gelegentlich etwas befremdlich. Aber Sie beschreibt ihren Weg und ihre Gefühle so authentisch, dass man dann doch gern den ganzen Weg mit ihr zusammengeht und am Abend jedes Tages, den sie beschrieben hat, unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Einfühlsam und mit sicherem Sinn für Bilder beschreibt sie, wie ihr die Natur in der teils völlig abgeschiedenen Bergwelt begegnet. Das ist wunderbares Naturkino.

Etwas dürftig ist der vierfarbige Buchtafelteil in der Buchmitte. Angesichts der fantastischen Berglandschaften, durch die die Wanderroute von Ana Zirner führt, hätte ich mehr Fotos erwartet. Ersatzweise habe ich manche Gipfel, Hütten und Orte gegoogelt. Vielleicht kommt ja in einer Folgeauflage noch Bildmaterial dazu.

Titel: Alpensolo

  • Autorin: Ana Zirner

  • Verlag: Malik

  • Erscheinungsjahr: 1. Auflage 2020

  • Umfang: 271 Seiten, Hardcover

  • Preis: 18 Euro